Prähistorischer Garten – Attersee

(Nähe Pavillon)

Unter der Leitung von Prof. Dr. Helga Oeser entstand in den Jahren 2015–2016 am Pfahlbaupavillon in Attersee am Attersee ein Schaugarten, der anschaulich demonstriert, mithilfe welcher Pflanzen sich die Menschen am Attersee um etwa 4000 v. Chr. ernährt, Krankheiten behandelt und Textilien gefärbt haben mögen.

 

Der Verein Pfahlbau am Attersee gab 2016 eine Broschüre heraus, in der beispielhaft verschiedene Pflanzen dargestellt sind, welche schon die Pfahlbausiedler zu nutzen wussten. Im folgenden Beitrag werden diese Pflanzen analog zur Broschüre mit Herkunft, Eigenschaften, Besonderheiten, Inhaltsstoffen, Anwendungen und Wirkungsweisen nach aktuellem Wissensstand beschrieben.

 

 

Im Prähistorischen Garten in Attersee werden ca 40 Pflanzen präsentiert und bei Führungen beispielhaft Pflanzen vorgestellt, die bereits in der Jungsteinzeit von Pfahlbauern (ca 4.000 – 2.000 v.Chr. in der Bronzezeit / Hallstattzeit (ca 2.000 – 750 v. Chr.) bis zur frühen Eisenzeit - von Kelten und Römern (bis ca 400 n.Chr.) genutzt wurden. Es werden Pflanzen gezeigt und erklärt, die sich im Wesentlichen auf folgende Anwendungsbereiche beziehen.

 

Ernährung und Medizin, Färben mit Naturfarben und ihre Färbetechniken

 

ERNÄHRUNG

 

Beginnen wir mit den Getreiden, die bereits 10.000 v.Chr. im vorderasiatischen Raum gewachsen sind, und die als erstes mit der Kultur der Linearbandkeramik vor knapp 7.000 v.Chr. in unsere Gegend gekommen sind.

 

Nach den Weizenarten Einkorn und Emmer kam etwas später auch die Gerste nach Mitteleuropa. Ursprung dieser Getreidearten ist der Vordere Orient, insbesondere der Oberlauf von Euphrat und Tigris; sekundäre Domestikationsgebiete liegen in Äthiopien und im Himalaya/Tibet. Die Getreidearten waren früher wie heute die Hauptlieferanten für Kohlenhydrate und wurden beispielsweise zu Suppen, Brei oder Brot zubereitet. Weitere Inhaltsstoffe sind Fett, Eiweiß, Mineralstoffe, Ballaststoffe und Vitamine.

 

Die ältesten Funde von Dinkel stammen aus Westgeorgien und den Tälern des Araratgebirges (6.000 – 5.000 Jahre v.Chr.). Weitere Funde stammen aus Bulgarien (3.700 Jahre v.Chr.). Ab ca. 2.000 Jahre wurde Dinkel in Süddeutschland nachgewiesen. Das Wort Dinkel erscheint auch in den Ortsnahmen Dinkelsbühl und Dinkelscherben sowie in deren Wappen (jeweils drei Ähren). Dinkel ist reich an Vitaminen, Aminosäuren und Eiweiß sowie günstige Fettsäurezusammensetzung.

 

Im Vorderen Orient wurden Roggenkörner in steinzeitlichen Schichten (ca 6.600 v.Chr.) in Nordsyrien nachgewiesen. Roggen gilt als sekundäre Kulturpflanze; ist zuerst als Unkraut in Weizen und Gerste nach (Ost) Europa gekommen; dort hat er sich in den kühlen Regionen besser durchgesetzt und wurde somit „domestiziert“. In Europa sind Funde um ca. 1.800 – 1.500 v.Chr. erwähnt. Ausgrabungen in der Hallstattzeit (600 – 500 v.Chr.) sind zu erwähnen; im Norden gewann Roggen bei Kelten, Slawen und Germanen an Bedeutung. Die Römer (Plinius der Ältere) bezeichnet ihn als minderwertig und magenschädlich; heute in Mitteleuropa wegen Farbe und Geschmack beliebt. Inhaltsstoffe sind Eiweiß, Fett, Kohlenhydrate, Ballaststoffe, Mineralstoffe und Vitamine.

 

Der früheste Nachweis für den Haferanbau ist durch die bronzezeitliche Pfahlbausiedlungen in der Schweiz belegt. In den altertümlichen Getreidefunden taucht Hafer- wie auch Roggen – nie in Reinform, sondern immer als Beimengung auf. Vermutlich wuchs Hafer als Beigras in Gersten- und Weizenfeldern, daher sekundäre Kulturpflanze.

 

Um etwa 5.000 v.Chr. sind die ersten Nutzungsnachweise in Polen und Schwarzmeerregion zu finden. Im Mittelalter verbreitet sich der Haferanbau über Deutschland; gewann an Bedeutung als Futtergetreide für Pferde. Heute Nutzung als Stroh, Haferkleie, Hafergrütze, Ceralien aus Hafer – infolge des geringen Glutengehaltes – nur bedingt geeignet für die Brotherstellung.

 

Auch angebaute Hülsenfrüchte wie Erbsen und Linsen, enorm wichtige Quellen für pflanzliches Eiweiß, nutzten die steinzeitlichen Bauern zur Ernährung. Daneben bauten sie auch Ölsaaten wie Schlafmohn und Flachs an. Diese deckten über die fetten Öle auch den Bedarf an ungesättigten Fettsäuren.

 

Auch angebaute Hülsenfrüchte in Mitteleuropa mit der Linearbandkeramik-Kultur und des immer breiter werdenden Spektrums an Kulturpflanzen begleitete die Nutzung wild wachsender Pflanzen und ihrer Früchte weiterhin, sei es als Quelle von vorwiegend Eiweiß und fetten Ölen wie bei der Gemeinen Hasel oder vorwiegend Zucker bei Holunder, Walderdbeere, Brombeere, Himbeere, Heidelbeere, Hagebutten, Blasenkirsche oder Holzapfel. Sämtliche dieser Wildfrüchte trugen durch ihren Gehalt an Vitaminen und Mineralstoffen zu einer ausgewogenen Ernährung bei – und nicht zuletzt brachten sie auch schmackhafte Abwechslung in der Alltagsernährung.

 

MEDIZIN (Heilpflanzen?)

 

Die Steinzeitsammler versuchten, Erkrankungen mit pflanzlichen Wirkstoffen zu behandeln. Aufgrund überlieferter Erfahrungen entwickelten sie die „biologische“ Medizin.

 

Heute besteht die Tendenz, sich erneut auf die Kräfte der Natur zurückzubesinnen und pflanzliche Extrakte zur Behandlung von leichten Gesundheitsstörungen einzusetzen. Es ist bekannt, dass sich eine Vielzahl von wirksamen Arzneimitteln aus der Natur entwickelt hat, wie beispielsweise die Herzglykoside (Fingerhut - Digitalis), Atropin – Antidot (Tollkirsche – Belladonna), Salicylsäure zur Abwehr von pathogenen Stoffen (Ringelblume – Calendula, etc)

 

Bereits Neandertaler wussten um die heilende und vorbeugende Wirkung mancher Pflanzenarten. Es wurden pflanzliche Arzneistoffreste in einem 50.000 Jahre alten Zahnstein nachgewiesen. Bei einem der Neandertaler stießen die Forscher auf mehrere Azulene und die Cumarinverbindung 4-Methylherniarin – Pflanzeninhaltsstoffe, die unter anderem in bitter schmeckenden Heilpflanzen wie Schafgarbe und Kamille vorkommen.

 

Über die im Prähistorischen Garten Attersee dargestellten Pflanzen wird in der Broschüre „Prähistorische Pflanzen und ihre Eigenschaften“ ausführlich berichtet, herausgegeben vom Verein Freunde der Archäologie an den Seeufern des Attersees und seines Hinterlandes.

 

Bei allen wichtigen medizinischen Aspekten der in der Jungsteinzeit verwendeten Pflanzen steht jedoch die Ernährung im Vordergrund, mit deren Betrachtung wir in unserem Pflanzengarten beginnen wollen.

 

Die weiteren Pflanzen unseres Gartens zeichnen sich durch die Mehrfachfunktion wie Ernährung und medizinische Wirkung aus, wobei letztere Eigenschaft empirisch in der Praxis von den Steinzeitmenschen beobachtet wurde. Die Verwendung des Begriffes Wirksamkeit ist in diesem Zusammenhang falsch, da die Wirksamkeit nur durch klinische Untersuchungen am Menschen geprüft werden kann, auf deren Basis diese Arzneimittel behördlich zugelassen werden müssen.

 

Heute können wir die praktische Anwendung der Steinzeitmenschen anhand der nachgewiesenen Inhaltsstoffe erklären und auch in Einzelfällen bestimmten Indikationen zuweisen. Diese wollen wir an unserer beispielhaften Bepflanzung versuchen zu erklären.

 

Nachfolgend wird der Versuch unternommen, die Pflanzen im prähistorischen Garten einigen Indikationsgruppen zuzuordnen. Es wird erkennbar, dass die genannten Inhaltsstoffe ubiquitär in vielen Pflanzen zu finden sind, womit eine eindeutige Zuordnung zu bestimmten Wirkungen erschwert ist.

 

Als wesentliche Inhaltsstoffe sind zu nennen: ätherische Öle / Terpene, Flavonoide, Gerbstoffe und Schleimstoffe.

 

Störungen im Magen – Darmbereich

 

Schafgarbenkraut (Herba Millefolii), Kümmel (Fructus Carvi), Odermennigkraut (Herba Agrimoniae), Tausenguldenkraut (Herba Centaurii) und Heidelbeere (Fructus Myrtilli).

 

Husten und Erkältungen

 

Pestwurz (Folia Petasitidis), Lungenkraut (Herba Pulmonariae), Eisenkraut (Herba Verbenae),

 

Huflattich (Folia Farfarae),

 

Nieren- und Blasenerkrankungen

 

Hagebutten (Cynosbati Fructus cum Semine), Wacholder (Fructus Juniperi), Löwenzahnkraut (Herba Taraxaci) und Löwenzahnwurzel (Radix Taraxaci), Bärentraubenblätter (Folia Uvae Ursi), Brennesselkraut (Herba Urticae) und Brennesselwurzel (Radix Urticae), Quendel (Herba Serpylli).

 

Verschiedene Indikationen

 

Mohn (Papaver somniferum), Leinsamen (Semen Lini), Gänsefingerkraut (Herba Anserinae), Beinwellwurzel (Radix Symphyti),

 

 

FÄRBEN MIT FÄRBERPFLANZEN

 

Aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen von Textilien aus der Bronze- und Eisenzeit, insbesondere aus dem Salzbergbau Hallstatt (ca 1000 v.Chr.) lassen sich viele Erkenntnisse über das Färben von Textilien ableiten, die wahrscheinlich auch in der Jungsteinzeit schon bekannt waren.

 

Konzentrieren wir uns auf die hier gezeigten Färberpflanzen, die folgende Farbtöne ergeben, wie BLAU (Färberwaid), ROT (Färberkrapp) und GELB (Färberwau, Schafgarbe und Färberkamille)

 

Das Blaue Pigment INDIGOTIN aus dem Färberwaid war für die damalige Bevölkerung leicht zu erkennen, da die blaue Farbe bereits an den verletzten Blättern erkennbar war. Hinsichtlich der Färbtechnik waren vermutlich viele Versuche und Erfahrungsschritte erforderlich.

 

Als erster Schritt war nötig, die in den Waidblättern enthaltenen gelblichen Vorstufen (hauptsächlich Isatan A und Isatan B sowie Indicain) des Waidblau herauszulösen. Um den blauen Farbstoff zu erhalten, musste eine neue Färbemethode entwickelt werden, um das unlösliche Pigment – Indigotin – zu gewinnen. Damit wurde die Küpenfärberei erfunden.

 

Der Nachweis von Indogotin (Blauer Farbstoff) in Hallstatt-Textilien beweist, dass die Küpenfärberei seit der Bronzezeit bekannt war. Blaufärben mit Indogotin ist nur mit dieser speziellen Färbetechnik möglich, die auf Reduktions- und Oxidationsvorgängen beruht. Das unlösliche blaue Pigment wird in einer alkalischen, zum Beispiel mit Urin erzeugten Küpe zu einer leicht löslichen, farblos bis grünlichgelben Leuco-Verbindung reduziert, in welche die Färber das Textil eintauchten. Nach dem Herausnehmen des Textils bildet sich in der Luft durch Oxidation wieder das blaue Pigment.

 

Rote Farbstoffe lieferte u.a. die Färberpflanze Färberkrapp (Rubia tinctorum). In gelben, braunen und grünen Textilien wurden auch rote Farbstoffe nachgewiesen, die auf den Gehalt von Anthrachinonen zurückzuführen sind. Es handelt sich übelicherweise um Gewächse der Rötegewächse (Rubiaceae). Als Anthrachinone wurden u.a. Rubiadin, Purourin und Alizarin nachgewiesen, die auch in Labkräutern wie Galium verum (Asperulaceae) vorkommen. Es ist anzunehmen, dass seit der Bronzezeit Rhizome der Rötegewächse in der Textilfärberei benutzt worden sind.

 

Gelbe Farbstoffe wurden vorrangig durch gelbfärbende Flavonoide (Färberwau/Reseda luteola, Färberkamille/Anthemis tinctoria, Schafgarbe/Achillea millefolium) erzeugt, die aus gelben Blüten oder auch grünen Pflanzenteilen gewonnen wurden, wobei letztere häufig von Chlorophyll überdeckt sind. Der gelbe Wirkstoff besteht aus Luteolin oder Luteolin und Apigenin und deren Äquivalenten (Fäberwau).

 

Zu diesem Thema ist eine Broschüre Färben mit Naturfarben im Selbstdruck erschienen!

 

Zusammenfassend möchten wir mitteilen, dass Führungen durch den prähistorischen Garten stattfinden – jeweils Dienstag von 17 – 18 Uhr sowie Workshops im Museum ATARHOF über das Färben mit Naturfarben.

 

Termine: 8. August und 24. Oktober von 10 – 14 Uhr. Weitere Termine nach Anmeldung unter 0664 4036704

 

Prof. Dr. Helga Oeser